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Ménage à moi

Spätestens, seit ich die Netflix-Serie „Liebe und Anarchie“ geschaut habe, ist die Rebellin in mir aus ihrem kleinen Winterschlaf erwacht. Immer öfter pikst sie mich nun und verlangt von mir, alte Sichtweisen, Muster und Regeln auf den Kopf zu stellen. Fast täglich halten sie und ich mittlerweile inne und fragen uns bei vielen Dingen, warum sie so sind, wie sie sind. Warum wir so ernst, so verbissen, so verkrampft geworden sind. Und ob wir das ganze Drumherum verstehen müssen, um es ändern zu können. Ich weiß es nicht. Vielleicht ja, vielleicht nein. Ich glaub manche Dinge muss ich nicht verstehen, sondern erleben. Und damit wären wir, mit einer recht ausführlichen Einleitung, auch beim heutigen Thema angelangt: Die weibliche Sexualität, insbesondere Masturbation.


Ein großer, angstvoller Teil in mir sträubt sich mächtig, heute mit euch über die weibliche Sexualität, Lust und vor allem Selbstbefriedigung zu reden. Dieser Teil schämt sich, fühlt sich schuldig und ertappt. Ein Glück überwiegt schon jetzt die mutige Rebellin in mir. Und gleichzeitig schmunzle ich auch darüber, dass es verpönt ist, über etwas zu reden, dass so natürlich ist wie das Leben selbst. Etwas, das das Leben erst ermöglicht. Sex. Vereinigung. Berührung. Lust. Begierde. Ekstase. You name it.


Vor allem als Mensch mit Vulva sind diese Themen mit so viel Scham, Peinlichkeit und Verdrängung überladen, dass die weibliche Sexualität oft wie ein undurchdringlicher Dschungel erscheint. Dabei muss sie das gar nicht sein. Zumindest nicht im negativen Sinne. Den mysteriösen, abenteuerlichen und wilden Aspekt der Metapher mag ich nämlich immer noch sehr. Ich verstehe ihn als Einladung, diese mächtige Urkraft in uns, diese wunderschöne, rohe Energie des Lebens zu erkunden. Und das geht am besten: Bei uns selbst.


Für Menschen mit Penis gibt’s dafür die volle Bandbreite an Inspiration und Vergnügen, gepaart mit viel Humor. Pornos, wohin das aufgegeilte Auge blickt, Zeitschriften, Bilder, lustige Umschreibungen, kollegiale Schulterklopfer und vor allem: viel Verständnis. Denn: Penis-Träger müssen einfach täglich Dampf ablassen. Nur zu, nur zu. Wir verstehen’s.


Und bei den Vulvas? Betretenes Schweigen, rote Wangen und beschämte Blicke. Beurteilung, Peinlichkeit, Schmerz und Zurückhaltung, wohin Mensch nur blickt. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kotzt mich diese Tabuisierung der weiblichen Selbstberührung an.


Ja, Man(n), Frau, Mensch. Auch wir Menschen mit Vulva berühren uns mitunter gerne selbst. Oder würden es gerne, wäre es uns nicht so unangenehm.



Gemeinsam neue Realitäten schaffen?

“Na und, geht mich doch nichts an?”, denkst du jetzt vielleicht. Ja. Und nein. Natürlich tragen wir alle eine Eigenverantwortung, schaffen unsere eigene Realität. Da bin ich ganz bei dir. So ganz direkt kannst du nichts für meine eigenen Tabus, Gefühle und Blockaden.


Was du aber kannst, genauso wie ich selbst, ist diese Realität ein bisschen neu gestalten. Dafür sorgen, dass unsinnige Tabus gestrichen, entstaubt und auf die vorderste Vitrine der Gesellschaft gestellt werden.

Du und ich, wir können gemeinsam dafür sorgen, dass viele Dinge zum neuen Normal werden. Zum Beispiel: Die weibliche Masturbation. Das heißt nicht, dass wir uns nun täglich in aller Öffentlichkeit die Perle putzen oder immerzu darüber sprechen sollen. Aber ab und zu, da dürfen wir den schweren Mantel der Scham von uns werfen und mehr darüber reden. Reden, und zuhören. Ohne Urteil, Kommentar oder Besserwisserei. Sondern mit einem offenen Herzen und einer Toleranz für all die Liebe und Schönheit in diesem Leben. Ich meine: Warum zur Hölle sollte der weibliche Körper, die weibliche Selbstliebe davon ausgeschlossen werden?


Masturbation, ein Akt der Selbstliebe?


Und weil leere Worte nicht nur im Prinzip doof sind, mache ich heute (m)einen ersten Schritt und erzähle euch von einem Online-Kurs, den ich vor ein paar Wochen besucht habe. Er hieß „Masturbation. Ein Akt der Selbstliebe“, wurde von der wunderbaren Katha von der Liebelei gehalten und war wirklich großartig. Über drei Stunden habe ich mich dafür zusammen mit 400 wundervollen, mutigen Frauen unter Anleitung von Katha mit meiner Vulva befasst. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Für den Einstieg gab es zunächst eine gehörige Portion Theorie. Und auch, wenn ich mich bereits relativ viel mit der weiblichen Anatomie, Sexualität und spirituellen Theorien beschäftigt habe, durfte ich an diesem Abend viel lernen. Zum Beispiel, dass vaginale Orgasmen ein Mythos sind. Ganz einfach deswegen, weil die Klitoris ein viel größeres Organ ist als die kleine Knospe, auf die sie ungerechterweise ständig reduziert wird, dass sie, ganz im Gegenteil, auch innere Schwellkörper umfasst, die bei einem Orgasmus genauso involviert sein können. Demnach ist das, was im Volksmund häufig als „vaginaler Orgasmus“ bekannt ist, im Grunde auch „nur“ ein klitoraler Orgasmus. Ja, liebe Penismenschen, notiert euch das gerne. (Randnotiz: ich musste das Wort "klitoral" gerade meinem digitalen Wörterbuch beibringen, weil es immer wieder rot umkringelt wurde. So viel Arbeit, die noch vor uns liegt, herrje.)

Ich lernte auch, dass der G-Punkt kein verdammter Punkt ist, sondern eine ganze Fläche, die sich je nach Erregungszustand ausdehnen kann. Und dass die Cervix, also der Muttermund, eine sehr erogene Zone sein könnte. Für die meisten Menschen mit Uterus ist sie das aktuell allerdings nicht. Weil sie alte Verletzungen und Emotionen gespeichert hat, die sie empfindlich und verspannt gemacht haben. Und dass wir diese Verspannungen und Blockaden lösen können und sollten, um die Pforten zu transzendentalen, wirklich ekstatischen Erlebnissen (egal ob mit uns selbst oder mit Partner:in) aufzustoßen, weil Muttermundorgasmen kein fancy Phänomen, sondern purste Realität sein können. Wir sprachen auch über die weibliche Ejakulation, den Beckenboden, Yoni-Massagen und -Mappings, die Libido, Fantasien und Sextoys. All das in einem herzlichen Austausch, der von gegenseitigem Verständnis, Offenheit und viel Liebe geprägt war.


Neben all der Theorie gab es viel Praxis, vor allem: Atemübungen. Wie könnte es anders sein -- ist der Atem Quell unseres Lebens, des Seins schlechthin. Wir lernten, tief zu atmen, die Energien zu visualisieren, ganz einzutauchen in unsere Körper und deren Wahrnehmung. Wir durften uns schütteln, tanzen, meditieren, in uns reinfühlen und, zum lang ersehnten Ende, unsere Körper erforschen. Dafür legten wir uns in unseren Wohlfühlräumen nieder, entkleideten uns und begannen, Zentimeter um Zentimeter unserer Haut und Muskulatur zu erforschen. Brüste, Bauch, Venushügel, Vulvalippen U-Punkt, Damm und was auch immer zwischen die Finger kam. Das wichtigste dabei: ganz viel und tief atmen, loslassen, sein. Die Wellen der Erregung spüren, reiten und vor allem: standhalten. Nicht sofort nachgeben, wenn es nicht mehr auszuhalten scheint, sondern in dieser Energie baden, sie mehr werden und bis in jede Pore des Körpers ausströmen lassen.

An diesem Abend durfte ich mich daran erinnern, dass Sex viel viel mehr als einfach nur ein Orgasmus ist. Wie viel Sinnlichkeit, Göttlichkeit und Schönheit in der Sexualität liegt und wie wenig Genuss und Ausdauer ich mir lange Zeit erlaubt habe, vor allem im Einzelspiel. Wie viel Scham und Unwohlsein ich in mir trug und nun endlich, endlich loslassen will. Weil ich leben will, voll und ganz, und da gehört mein Körper in all seiner Vielfalt mit dazu. Und ich behaupte mal, mit dem Workshop und diesen Worten hier ist ein erster Schritt getan. Tschakka.

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