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Johnny

Inspiriert von der großartigen Lina Mallon und ihrem Werk "schnell.liebig" habe ich mir überlegt, ab und an die kleinen und großen Gefühle und Geschichten aus meiner Dating-Welt zu teilen. Einfach so. Weil es unterhält, irgendwie schön ist, vielleicht zum Nachdenken anregt, und das Schreiben ehrlich gesagt einen Haufen Spaß macht. Also dann, Vorhang auf für: Johnny*.


Es klingelt. Er klingelt. Ich laufe nervös zur Wohnungstür. Ein Glück habe ich sturmfrei, sonst müsste ich mich den verschmitzten Blicken meiner Mitbewohnerin stellen, und damit könnte ich gerade nicht umgehen. 7 Jahre der Funkstille, und jetzt ist er hier. Wobei das Wort „Funktstille“ übertrieben ist, waren wir nie richtig befreundet und im Kontakt miteinander. Ich habe Jonas, der lieber Johnny genannt werden will, über meinen ersten Freund X kennen gelernt. An so viel erinnere ich mich noch. Später wird er mir erzählen, dass er mit X in einer Band gespielt hat, und sie gelegentlich mit Freunden im Park oder der alten Schulturnhalle einen Sport machten, den sie „Tricking“ nannten. Ich erinnere mich heute nur noch an einen Abend, als X und ich gemeinsam mit ein paar anderen Freunden bei Johnny zuhause waren. Er hatte irgendein Reptil als Haustier, das er mir in den Arm legte. Das gefiel mir, gab es mir eine gewisse Sicherheit, irgendwas, auf das ich meinen Blick richten, hinter dem ich mich verstecken konnte. Ich war wirklich furchtbar schüchtern und verunsichert als Teenagerin. Er dagegen hatte immer einen flotten Spruch auf den Lippen, war leicht und fröhlich auf den Füßen und mit einer unglaublichen Energie, Coolness und schönen Freundinnen gesegnet. Damals schien er mir unerreichbar. Jetzt steht er also vor mir. Samtige Bomberjacke, Oversized Pulli, hippe Mütze, lange Haare. Grinst schüchtern, wodurch die großen Grübchen seiner Wangen die Mütze ein Stück nach oben schieben. „Hi. Komm doch rein.“


Wir setzen uns in meine kleine WG-Küche und trinken Tee. Einen, zwei, drei, vielleicht auch vier. Haben so viel zu erzählen. Klar, immerhin sieben Jahre, die aufgeholt werden wollen. Ich erzähle vom Studium, der Trennung von X, all den Reisen, Ausbildungen, der nächsten langen, gescheiterten Beziehung und unglücklichen Jobs, die irgendwann in meine Selbstständigkeit münden.

Er erzählt von seiner Orientierungslosigkeit, Frauen, der Zeit beim Bund. Heute ist er Schauspieler. Zieht alle paar Monate um, hangelt sich von Job zu Job, „so ist das eben als Künstler:in.“ Aktuell ist er in Flensburg, aber Dienstags hat er frei, deswegen fährt er Montags nach der Vorstellung mit dem Auto nach Hamburg für eine Nacht, manchmal zwei.

Ich habe Spaß. Sehr viel sogar. Wir lachen viel, grinsen verlegen in unsere Teetassen, über deren Ränder manch unsicherer Finger streicht. Seine Blicke sind intensiv, fragend, neugierig. Wir haben uns bei Tinder wieder „entdeckt.“ Mehr oder weniger. Er wollte eigentlich nur alle 100 Swipes des Tages verpulvern, um nicht länger an der App zu kleben. Ich war einfach nur neugierig und erstaunt, ihn hier zu sehen, dachte sonst aber nicht viel. Ganz nach dem Motto: Mal schauen, ob er auch nach rechts swipen würde. Was er tat, wenn auch aus „anderen“ Gründen. Jetzt sitzt er hier, vor mir, in meiner Küche. An seinem einzigen freien Tag in der Woche. Ich finde ihn süß. Seine Stimme ist weich und stark zugleich, umhüllt mich wie eine warme Decke am kalten Fensterbrett. Wir reden die halbe Nacht. Spazieren um die Alster, beobachten, analysieren Läufer:innen in ihren Bewegungen und die tanzenden Lichter auf dem dunklen Wasser. Wir laufen immer weiter, bis uns kalt wird und wir Küchentisch und Tee herbeisehnen. Irgendwann ist es zwei Uhr, ich muss am nächsten Tag früh zur Arbeit und er ans Theater, also verabschieden wir uns. „Vielleicht sehen wir uns bald mal wieder?“ frage ich zaghaft. „Das wäre schön. Was machst du nächsten Dienstag?“

Dienstag, eine Woche später. Das Spiel wiederholt sich. Ein Tee nach dem Nächsten, lange, tiefe Gespräche, kleine Flirts und eine gute Prise Humor. Irgendwann kann einer von uns nicht mehr ruhig sitzen. Wahrscheinlich ich, vielleicht aber auch er. Wir gehen in mein Zimmer. Ich habe wieder sturmfrei, ein Glück. Wir kommen uns näher, ich habe zu der Zeit nur ein schmales 90cm Bett in meinem 9qm WG-Zimmer. Ich liege auf dem Rücken, starre Löcher in die Decke, während ich ihm zuhöre. Er liegt auf dem Bauch, die Beine baumeln in der Luft, sein Kopf taucht immer wieder in mein Kissen, während er erzählt und lacht. Wir finden uns gut. Aber irgendwie passiert nichts. Ich werde unsicher. Bilde ich mir die Spannungen nur ein? In mir ein kleiner Kampf. Wartet er, warte ich, worauf warten wir, warum passiert nichts, warum mach ich’s nicht einfach, wovor fürchtet er sich, wovor fürchte ich mich? Es wird 2, 3, 4 Uhr nachts, und ich versinke in meinen Grübeleien. Er merkt die Unruhe, reitet darauf rum, amüsiert sich. Das provoziert mich umso mehr. Und irgendwann, als ich zu platzen drohe und es nicht mehr aushalte, küsse ich ihn. „So, jetzt kannst du von mir aus gehen.“ Er geht nicht. Natürlich nicht. Wir bleiben die ganze Nacht auf, bis er um 7 Uhr früh geht, damit wir beide zumindest etwas Schlaf für den nächsten Tag tanken können. „Ich schaff’s leider erst in zwei Wochen wieder nach Hamburg. Sehen wir uns dann?“ Wir sehen uns. Immer Dienstags. Mittlerweile bei ihm. Sein Zimmer ist größer, sein Bett auch. Wir reden, lachen, er spielt Musik für mich, singt mir vor. Wir kochen Tee, philosophieren über den Sinn des Lebens, rücken dabei immer näher. Es ist jede Woche das Gleiche, als würde die Distanz uns einen neuen Mantel der Schüchternheit auflegen, den wir Woche um Woche neu abzustreifen lernen. Es dauert immer eine Weile, bis wir uns küssen, berühren, miteinander schlafen. Dafür ist es dann umso schöner. Ich lasse mich fallen, bin ganz da, im Moment, bei ihm, bei mir. Zwischen Küssen, zerwühlten Laken und kaltgewordenem Tee frage ich ihn aus — über seine Vorsprechen, Stücke, Ängste und Überwindungen. Er redet gerne und gut, das weiß er selbst, und ich höre zu. Sehr, sehr gerne. Seine Welt fasziniert mich, so aufregend und anders als meine.


Ein paar Wochen gehen ins Land, ich fieber stets auf den nächsten Dienstag hin, mein neuer Lieblingstag, wie es scheint. Und auch, wenn es für mich viel zu früh ist, meine letzte Trennung liegt gerade mal fünf Monate zurück und ich (er)lebe mich von fling zu fling neu aus, merke ich, dass ich verknallt bin, dass ich mehr von ihm will, dass mir alle paar Dienstage nicht mehr reichen. Ich will ihn besuchen, in Flensburg. „Wär das okay für dich?“ Ja klar. Ich soll ihm einfach schreiben, das kriegen wir schon geregelt. Ich bin aufgeregt, schiebe Termine und Verabredungen, bis ich drei Tage freigeschaufelt bekomme. Ich mache ihm den Vorschlag. Es passt ihm nicht. Er will Musik machen. Das sitzt. Ich bin enttäuscht. Und verunsichert. War das zu viel? Zu früh?


Er schreibt, dass er erstmal nicht mehr Hamburg kommt, um Benzingeld zu sparen. Noch weiß er nicht, wo er den Sommer verbringen, mit welchem Stück er das nächste Geld verdienen wird. Und plötzlich ist da eine Mauer. Wir schreiben weniger. Ich frage, ob wir telefonieren können. Wir telefonieren. Es ist komisch. Ich telefoniere nicht gerne, so ganz allgemein, und erst recht nicht, wenn ich verknallt bin und mich nicht traue, das zu sagen. Ich vermisse ihn. Das macht mir Angst. Was, wenn das die Grenze ist? Er genug von mir hat und ich ihn von mir stoße? Unser Gespräch ist belanglos. Das Wetter, sein Stück, mein letzter Auftrag. Ich lege auf und fühle mich leer. Wir schreiben kaum noch, ich liege lange wach und spule die immer gleichen Sorgen runter.

Er schreibt, dass er in ein paar Wochen nach Hamburg kommt, und dann erstmal bleibt. Ich atme durch. Okay, vielleicht braucht dieses Etwas, was auch immer das zwischen uns ist, einfach eine Pause, etwas Zeit zum Durchatmen. Vielleicht brauche ich einfach eine Pause. Einmal sortieren, runterkommen, mich entspannen. Und dann sehen wir weiter, wenn er hier ist.


Ich rede mir selbst ein, dass das gut so ist. Schreibe ihm, dass der Flensburg-Plan total überstürzt gewesen sei und ich es nicht schaffe, und auch diese halbherzige Schreiberei nicht mag, mich aber freue, wenn wir uns in ein paar Wochen ganz entspannt und ohne Erwartungsdruck in Hamburg sehen. Das fühlt sich gut an. Gewissermaßen cool und abgeklärt, dennoch freundlich und einladend. Ich drücke auf „Senden.“ Er antwortet nicht. Vielleicht ist viel los, denke ich mir. Lasse ein paar Tage verstreichen und mein Herz höher schlagen, wenn ich sehe, dass er meine Instagram Stories sieht. Immer noch keine Antwort. Ich frage mich, ob ich nochmal schreiben soll. Meine Freund:innen raten ab. Gib ihm Zeit. Wird schon.


Es wird nicht.


Meine Instagram Stories guckt er sich heute noch an. Geantwortet hat er mir nie. Aber ich, ich habe auch nie wieder geschrieben, aus Stolz, aus der Verletzung, die ich mir nie anmerken lies, aus Angst. Und so plötzlich, wie Johnny wieder in mein Leben stolpert, verschwindet er wieder daraus, so, wie das heutzutage irgendwie eben geworden ist, wenn mensch datet.



*selbstverständlich habe ich seinen Namen geändert. Ein bisschen Diskretion darf und muss auch sein.

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